T. T. Müller: Die Reichsstadt Mühlhausen und der Bauernkrieg in Thüringen

Cover
Titel
Mörder ohne Opfer. Die Reichsstadt Mühlhausen und der Bauernkrieg in Thüringen
Weitere Titelangaben
Studien zu Hintergründen, Verlauf und Rezeption der gescheiterten Revolution von 1525


Reihe
Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung
Erschienen
Petersberg 2021: Michael Imhof Verlag
von
Peter Niederhäuser, Freischaffend

Die kommenden Jahre stehen im Zeichen der Erinnerung an den Bauernkrieg, wie die vielschichtigen Auseinandersetzungen in Zusammenhang mit der Reformation pauschal bezeichnet werden. Was für die Schweiz eher ein Nebenkapitel ist, nimmt in der deutschen Geschichtskultur einen wichtigen Rang ein. Die kontroversen Wahrnehmungen in der westlichen und östlichen Geschichtsschreibung, die Rolle von Luther als «Fürstenknecht » wie auch die blutigen Schlachten selbst eröffnen immer wieder neue Debatten. Zu den Epizentren des Bauernkriegs zählen Thüringen und die Reichsstadt Mühlhausen, wo der Bauernkrieg als gescheiterte Revolution nicht nur eine historische Zäsur bedeutete, sondern mit der Person des Predigers Thomas Müntzer auch einen schillernden Protagonisten vorzuweisen hat. Dieser polarisiert wie fasziniert bis heute und verbindet Mitteldeutschland mit dem Hochrhein, stand er doch vom Klettgau aus in Kontakt mit den ersten Zürcher Täufern. Der Gegensatz zwischen Luther und dem radikalen volkssprachlichen Prediger Müntzer beschäftigt die Historiografie wie auch die Erinnerungspolitik seit langem.

Im Zentrum der voluminösen Dissertation von Thomas T. Müller, der als früherer Direktor der Mühlhäuser Museen bestens mit den historischen Besonderheiten der ehemaligen Reichsstadt vertraut ist, steht für einmal nicht Müntzer, sondern die städtische Politik in einem bewegten Umfeld. Aufhänger sind jene Plünderungszüge, die im Frühling 1525 von Mühlhausen aus die Region heimsuchten, die von Luther als Werk «räuberischer und mörderischer Rotten der Bauern» sowie als «Teufelswerk» gebrandmarkt wurden und die seither als Beispiel für eine unkontrollierte (und unerwünschte) Eskalation der Reformation die Fantasie der Geschichtsschreibung beflügelten. Nur: was genau geschah in diesen hektischen Tagen? Zog tatsächlich ein unkontrollierter Mob durch die Landschaft und schlug alles nieder, das sich ihm in den Weg stellte?

Was in den Überblickswerken zur Reformation als Fussnote abgehandelt wurde, erhält in der quellenreichen Arbeit Müllers den Rang einer Fallstudie, die hinter die Kulissen der Vorurteile blicken und die reformatorischen Ereignisse in einer einzelnen Stadt besser verstehen will. Dank einem eindrücklichen Fundus an zeitgenössischen Dokumenten bis hin zu aufschlussreichen Schadenslisten von Adligen und Klöstern und aufbauend auf prosopographischen Zusammenstellungen und Netzwerk-Analysen rekonstruiert Müller die Vorgänge im Jahr 1525. Bereits der Titel des Buches («Mörder ohne Opfer») weist auf eine Sichtweise hin, die sich von der lutherischen Polemik abgrenzt und die den Einfluss von Thomas Müntzer zurückhaltender einstuft; prägender war wohl der radikale Prediger Heinrich Pfeiffer, ein gebürtiger Mühlhäuser und Zisterziensermönch. Die Gründe für die Plünderungszüge auf der Landschaft mögen vielschichtig sein, waren aber auf jeden Fall ein auffallend unblutiges Kapitel jenes Bauernkriegs, der bald darauf zu einem Blutbad führte.

In akribischer Kleinarbeit geht Müller zuerst auf den Siegeszug reformatorischer Ideen in Mühlhausen ein, wo sich die Reichsstadt den politischen Einschränkungen zu entziehen suchte, von der kirchenrechtlichen Bevormundung durch den Deutschen Orden bis zur herrschaftlichen Konkurrenz der nahen Zisterze Volkenroda. Thomas Müntzer war erst spät einer der Exponenten einer neuen Politik, die letztlich eine Entmachtung des reichsstädtischen Rates durch eine Opposition brachte, die einen breiteren Einbezug der Bevölkerung und eine Abschaffung von Privilegien forderte – religiöse Argumente standen dabei anfänglich keineswegs im Zentrum, was zum Befund in anderen Städten passt. Mit der Stürmung und Plünderung von Gotteshäusern und der Flucht eines Teils der Ratsherren aus der Stadt eskalierte im Laufe des Jahres 1524 die Situation und führte zu einem Hin-und-Her, das schliesslich mit der endgültigen Etablierung der reformatorischen Partei Anfang 1525 endete, gefolgt von den erwähnten Plünderungszügen im April und Mai 1525, die aber kaum auf Widerstand stiessen und überraschend unblutig abliefen. Die vernichtende Niederlage am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen drehte das Rad nicht nur in Mühlhausen wieder zurück und brachte die Stadt vorübergehend unter fürstliche Fremdherrschaft. Müntzer und Pfeiffer wurden hingerichtet und dienten in der Folge als Sündenböcke.

Es ist Müllers Verdienst, diesen tendenziösen Wertungen eine quellenfundierte Grundlage gegenüberzustellen und so zu einer nüchternen, aber nicht minder spannenden Darstellung der Reformation in Mühlhausen beizutragen.

Zitierweise:
Niederhäuser, Peter: Rezension zu: Müller, Thomas T.: Mörder ohne Opfer. Die Reichsstadt Mühlhausen und der Bauernkrieg in Thüringen. Studien zu Hintergründen, Verlauf und Rezeption der gescheiterten Revolution von 1525, Petersberg 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 73(3), 2023, S. 371-372. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00134>.

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